Palam Rural Center
Mr. Sundarkumar vom Palam Rural Center aus Indien (Sept. 2022)
1978 schloss sich eine Gruppe „Dalits“ (= Angehörige der Kaste der Unberührbaren, 40 Familien), die in der Lederverarbeitung tätig waren, zum Palam Rural Center zusammen, um ihre Marginalisierung zu durchbrechen, für sich und ihre Familien ein geregeltes Einkommen zu sichern, und damit ihre wirtschaftliche und soziale Situation zu verbessern. 1988 begann man auf Empfehlung der deutschen Fair-Handels-Organisation GEPA mit der Seifenproduktion. Die Lederproduktion wurde 2005 eingestellt. Heute umfasst Palam Rural Centre 250 Familien (ca. 1000 Personen). Der langjährige Geschäftsführer, Benjamin Sundarkumar, berichtet stolz über das Erreichte:
Bildung als Ausweg aus der Misere
Eines der größten Handicaps der Dalits ist und bleibt die fehlende Bildung. Als „Unberührbare“ werden sie vor allem auf dem Land von der Gemeinschaft ausgegrenzt. Ohne Bildung stehen die Chancen, diese Ausgrenzung und umfassende Benachteiligung zu überkommen, schlecht. Aus diesem Grund forcierte der Palam Rural Center seit jeher die Fortbildung seiner Mitglieder und die Bildung der Kinder der Mitgliedsfamilien. 2005 erfüllte sich der Traum einer eigenen Grundschule. Auf dem Gelände des Zentrums entstand ein solides und ansprechendes Schulgebäude, das nach und nach um weitere Klassenräume erweitert wurde. 2021 folgte der Ausbau zur High-School. Hier werden u. a. die Kinder der eigenen Mitglieder ausgebildet, aber auch zahlreiche Kinder aus den umliegenden Dorfgemeinschaften. Heute zählt die Schule 350 Schüler:innen. Hier können Kinder ab drei Jahren die Vorschule besuchen. Für die Kinder der Mitglieder (ca. 50%) ist der Schulbesuch gratis. Externe Schüler:innen zahlen moderate Schulgebühren. Der Andrang ist groß, so Sundarkumar: „Das Niveau unserer Schule ist sehr gut, die Kosten erschwinglich. Hier lernen Kinder der unteren Schichten alle wichtigen Grundkenntnisse und werden in drei Sprachen unterrichtet – Englisch, Hindi und Tamilisch, die regionale Hauptverkehrssprache. Aber auch Sport, kultruelle Angebote und Computerkurse stehen auf dem Lehrplan. Das ist eine große Errungenschaft, auf die wir sehr stolz sind!“ Die Kosten für die Schule trägt Palam inkl. der Gehälter für die 23 Lehrpersonen. Die notwendigen Gelder werden neben externen Geldgeber:innen durch die Produktion und den Verkauf der Seifen erwirtschaftet, die in erster Linie über den Fairen Handel abgesetzt werden.
Von der Leder- zur Seifenproduktion
Ursprünglich haben die Mitglieder Palams in der Lederproduktion gearbeitet. Die Verarbeitung von Fellen zu Leder gilt im hinduistischen Kontext als unrein und ist den Dalits vorbehalten. Gegründet wurde Palam als Produktionszentrum für die Lederverarbeitung. In seiner besten Zeit beschäftigte das Zentrum 150 Personen. Auch die EZA bezog in den 1980er Jahren Lederprodukte (vor allem Sandalen) von Palam. Doch dann kam der Niedergang für die handgefertigten Lederprodukte. Eine Alternative musste gefunden werden, um die Leute weiterhin beschäftigen zu können. In dieser schwierigen Situation begannen die Leute von Palam mit der Seifenproduktion. Heute werden nur mehr Seifen produziert. Gleichzeitig denkt man an die Entwicklung neuer Produktsortimente und experimentiert seit einiger Zeit mit Shampoos. Trotzdem musste die Zahl der Beschäftigten auf 47 reduziert werden. Das Ziel ist mehr Leuten Arbeit und Einkommen zu verschaffen und damit „Würde“ zu geben, denn es gibt noch viele, die nach wie vor ihr Dasein als Dalits fristen. Ihnen möchte Palam eine neue Perspektive eröffnen. Um mehr Leute aufnehmen zu können, braucht es größere Bestellungen. Eine wichtiger Partner ist dafür der Faire Handel, denn in Indien selbst, so Sundarkumar, sind die handwerklich hergestellten Seifen aus reinen Pflanzenölen zu teuer und können nicht mit industriell hergestellten Seifen konkurrieren.
Von der Anerkennung der Dalits…
Auch heute noch, so Sundarkumar, gibt es vor allem im ländlichen Raum das Problem der Stigmatisierung der „Unberührbaren“. Für sie gibt es nur zwei Auswege: über eine gute Ausbildung und die Migration, so dass ihre Herkunft nicht mehr nachvollzogen werden kann, oder über Einkommen und wirtschaftliche Stabilität, wie sie z. B. eine geregelte Anstellung bei Palam Rural Center bietet. In der Anerkennung und sozialen Integration der Dalits liegt das eigentliche Ziel der Organisation. So ist es nicht verwunderlich, dass viele Betroffene auf die Aufnahme in das Zentrum warten. Auf die heutige Situation der Mitglieder angesprochen meint Sundarkumar: „Als wir Palam gründeten, waren wir alle Dalits. Niemand wollte mit uns zu tun haben. Heute, da wir in anständigen Häusern wohnen und uns angemessen kleiden können, beginnen uns die Leute für das zu respektieren, was wir erreicht haben!“
… bis zur Förderung anderer marginalisierter Handwerker:innen
Doch der Faire Handel wurde von Palam nicht nur als Ausweg für die eigenen Mitglieder gesehen. Man erkannte schnell, dass dieser neue, auf solidarischen Prinzipien basierende Markt auch anderen marginalisierten Handwerker:innen eine neue Chance bieten könnte. Aus diesem Grund regte Palam die Gründung einer Vermarktungsorganisation namens SIPA (South Indian Producer Association) an. Palam hat SIPA mit bereits bestehenden Handelspartnern in Europa und den USA in Kontakt gebracht, darunter auch der EZA. Bis heute ist Palam Mitglied bei SIPA, exportiert seine Produkte aber nach wie vor direkt. Die Mitgliedschaft bei SIPA dient vor allem der gegenseitigen ideellen Unterstützung, Vernetzung und der Bekanntmachung des Fairen Handels. Sundarkumar sieht die Bedeutung SIPAs vor allem in der Unterstützung neuer und kleinerer Handwerksgruppen, die noch keinen Zugang zu den Exportmärkten bzw. zum Fairen Handel haben, während erfahrenere Gruppen vor allem von der Produktentwicklung, Qualitätssicherung und technischen Beratung profitieren. Wieder andere Gruppen haben sich durch die langjährige Unterstützung sehr gut entwickelt und mehr und mehr Unabhängigkeit und Selbständigkeit erreicht. Auch darin sieht Sundarkumar einen klaren Erfolg des Fairen Handels. Die große Herausforderung liegt heute darin ausreichende Aufträge zu erzielen, um die alten wie neuen Gruppen mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen und Aufgaben weiterhin unterstützen und begleiten zu können.