16.01.2012: Stellungnahme zum Weltjournalbeitrag vom 11.1.2012
Zum Beitrag „Fair Trade: Das Geschäft mit dem guten Gewissen“, ausgestrahlt im Weltjournal vom 11.1.2012 auf
ORF 2 möchten wir wie folgt Stellung nehmen:
Der Faire Handel ist aus unserer Sicht kein starres System im Sinne der einzigen Wahrheit und des einzigen Weges, sondern unterliegt Veränderungsprozessen. Unterschiedliche Standpunkte - vonseiten der ProduzentInnen, HändlerInnen, NGOs, sind dabei nicht a priori abzulehnen, genauso wenig wie das Aufzeigen kritischer Aspekte, da sie Diskussionen weiter treiben und ermöglichen, allfällige Schwachpunkte zu erkennen und an deren Behebung zu arbeiten. Wir gehen deshalb auch davon aus, dass die internationale Zertifizierungsorganisation des FAIRTRADE Gütesiegels FLO Cert zu den erhobenen Vorwürfen im Beitrag eindeutig Stellung bezieht, hätten es allerdings begrüßt, wenn die in die Kritik Geratenen im Beitrag selbst bereits die Möglichkeit dazu bekommen hätten. Wir sind diesbezüglich mit FAIRTRADE Österreich im Gespräch, diesen Vorwürfen wird bereits von FAIRTRADE International nachgegangen. Die Ergebnisse der Untersuchung werden in einer neuen Stellungnahme veröffentlicht.
Was wir darüberhinaus nicht nachvollziehen können ist, dass - neben der Thematisierung kritischer Aspekte - kaum Raum blieb für eine ausführlichere Skizzierung der positiven Seiten, die dem FAIRTRADE System innewohnen. Kritisch sehen wir vor allem die starke Polarisierung. Da die 'großen bösen Geschäftemacher, ein nicht-funktionierendes externes Kontrollsystem und ProduzentInnen, für die der Faire Handel nicht wirklich greifbar ist', dort die 'kleinen, rebellischen, selbstbestimmten und überschaubaren Strukturen, die direkten Beziehungen, die keiner externen Kontrollen bedürfen und auf Vertrauen beruhen' – irgendwo dazwischen die ganzheitlichen PionierInnen EZA und Weltläden. Das FAIRTRADE-System blieb als klarer Verlierer übrig.
Die Realität des Fairen Handels ist komplexer! Der Beitrag hätte den ZuseherInnen die Möglichkeit bieten können, sich differenziert mit der Frage auseinander zu setzen, wie "Faires Handeln" in einem unfairen Gesamtsystem überhaupt gelingen kann, wo die Grenzen sind und warum.
Als EZA Fairer Handel versuchen wir täglich den Spagat, anders zu handeln im gegebenen Rahmen. Durch unsere direkten Kontakte zu den PartnerInnen (FAIRTRADE zertifiziert und nicht-zertifiziert!) wissen wir, dass unsere Art des Wirtschaftens Sinn macht, dass sie Handlungsspielräume für Tausende von Menschen erweitert, dass es nicht nur um Exportproduktion geht, sondern auch um Ernährungssicherung, dass es vielen Partnerorganisationen nicht nur um Rohstoffexport geht, sondern um das Bemühen, aus der Rolle der RohstoffproduzentInnen herauszukommen und fertig verarbeitete Produkte anzubieten (und diese Beispiele gibt es!), dass die Entscheidung für eine Zertifizierung mit Aufwand verbunden ist, gleichzeitig aber auch die Marktchancen der ProduzentInnen erhöht und Prozesse in der Organisation anstößt, die diese insgesamt stärken können, dass es die begründete Entscheidung gegen eine Zertifizierung geben kann – auch das respektieren wir als EZA.
Wir wissen aber natürlich auch, wo die Grenzen unseres Handelns liegen, eben weil wir genauso wie unsere PartnerInnen im Süden in ein globales System eingebunden sind, dessen Prinzipien eben nicht an sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Zukunftsfähigkeit ausgerichtet sind.
Dass es nicht reicht, das "Richtige" zu kaufen, um die Welt zu verbessern, ist selbstverständlich. Dass sich auch die politischen Rahmenbedingungen ändern müssen ebenso. Veränderte Weichenstellungen sind mehr als nötig: Damit - hier wie dort! - Arbeitsrechte eingehalten werden, damit sich Lohnniveaus verbessern, damit soziale Versorgung nicht vom Staat in die Privatwirtschaft verschoben wird, damit sich die Bildungssituation verbessert, damit sozial und ökologisch verträgliche Produkte angeboten werden anstatt Produkte, die die Menschen, die sie herstellen und konsumieren, kaputt machen und die Natur gleich mit dazu.
Zahlreiche Rückmeldungen auf den Beitrag spiegeln große Verunsicherung und Ratlosigkeit wider. Daraus den Schluss zu ziehen, das eigene Konsumverhalten habe keine Relevanz für die Zukunft des Planeten und die Menschen, die ihn bewohnen, wäre verfehlt. Es geht nicht darum, einfache Lösungen anzubieten. Es geht darum, Optionen aufzuzeigen, wie wir Teil der Lösung werden können, anstatt Teil des Problems zu sein, als KonsumentInnen und als BürgerInnen. Handlungsfähigkeit zu vermitteln und zu bewahren zählt für uns zum Wichtigsten, um sich nicht ohnmächtig zu fühlen. Denn "Ohnmacht ist der stärkste Verbündete der Mächtigen" (Zitat Ch.Felber)
Wir hoffen deshalb, dass der Weltjournal Beitrag nicht dazu führt, sich vom Fairen Handel enttäuscht abzuwenden, sondern Anlass gibt, sich mit den vielen verschieden Facetten seiner gelebten Praxis – auch kritisch - auseinander zu setzen.
EZA Fairer Handel, 16.1.2012
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Download: Natürlich Fair 1/2011
Stellungnahme von FAIRTRADE von Hartwig Kirner