Targanine
Keltouma Zaitouni und Jawad Hajir von Targanine aus Marokko (Okt. 2009)
Keltouma Zaitouni und Jawad Hajir von GIE Targanine, Marokko, waren vom 6.-13. Oktober 2009 auf Einladung der EZA zu Gast in Salzburg. Den direkten Austausch pflegen und so die damals noch junge Handelspartnerschaft festigen, war das Ziel des Besuchs. Andrea Reitinger schildert Eindrücke einer intensiven Begegnung.
Eine selbstbewusste Frau
Keltouma Zaitouni ist 32 Jahre alt. Sie kommt aus Azzaraq, einem kleinen Dorf im Südwesten Marokkos, 15 km von Agadir entfernt. Ihre Muttersprache ist Berber, die erste Fremdsprache, die sie in den drei Jahren Grundschule lernt, ist Arabisch. Sie ist Mitte 20, als im Dorf ein Alphabetisierungskurs für Erwachsene angeboten wird. Keltouma geht hin und ist die einzige erwachsene Frau. Dort trifft sie Rachid. Er ist der Lehrer der Gruppe. Zwei Jahre lang dauert der Kurs. Für Keltouma gibt er den Anstoß, ihrem Leben eine andere Richtung zu geben.
Etwas Neues beginnen
Rachid erzählt Keltouma von den Erfahrungen des Frauennetzwerks Targanine. Dort stellen ausschließlich Berberfrauen das wertvolle Arganöl her, das sich auch außerhalb Marokkos immer größerer Beliebtheit erfreut. Seit Bekanntwerden der günstigen ernährungs-physiologischen Zusammensetzung des Öls und aufgrund seines hervorragenden Geschmacks wird es in der Spitzengastronomie ebenso geschätzt wie als Bestandteil kosmetischer Produkte. Der Export nach Europa hat interessante Einnahmequellen aufgeschlossen. Rachid schlägt Keltouma vor, es den Frauen von Targanine gleichzutun. Keltouma hat Interesse. Der Alphabetisierung folgt eine Schulung über die Gründung einer Kooperative und zusammen mit zwei Freundinnen wagt sie 2004 diesen Schritt. Die Frauengenossenschaft „Tamaynoute“ (= Etwas Neues) entsteht und wird wenig später Mitglied von GIE Targanine, dem Frauennetzwerk, das seit 2007 als Partnerorganisation der EZA Fairer Handel Arganöl nach Österreich exportiert – für kulinarische Zwecke ebenso wie für die EZA-Naturkosmetik.
(Sprach)Brücken bauen
Um Keltoumas Geschichte zu erfahren, braucht es ein paar Umwege. Auf ihrer ersten Reise nach Europa wird sie von Jawad Hazir begleitet. Auch für ihn ist Europa Neuland. Er arbeitet seit 2005 für Targanine („Ich bin der einzige Mann außer dem Chauffeur“) und ist für die Qualitätssicherung des Öls verantwortlich. Ein Praktikum im Rahmen seiner Ausbildung an der Universität von Rabat (Qualitätsmanagement und Chemie) hat ihn zu Targanine gebracht. Er konnte bleiben. Jawads Muttersprache ist Arabisch, seine erste Fremdsprache Französisch. So ist Verständigung möglich. Er übersetzt meine Fragen für Keltouma und Keltoumas Antworten für mich. Eine riesige Verantwortung für Jawad, eine ebenso große Abhängigkeit für Keltouma. Doch – ohne ein Wort Arabisch oder Berber zu verstehen – habe ich von Beginn an den Eindruck, dass die (Sprach)Brücke trägt. Das Verständnis spiegelt sich in Keltoumas Gesicht, sie ergreift das Wort, erzählt, Jawad hört aufmerksam zu und übersetzt auf Französisch.
Wer wir sind und was wir tun
Einander kennen lernen: Die ersten eineinhalb Tage dienen dazu, Keltouma und Jawad eine klarere Vorstellung davon zu geben, wer wir sind, wie wir arbeiten, wer die KundInnen und Kunden sind, die ihr Produkt kaufen, und welche Marktanforderungen existieren. Dazu kommt eine Einführung zum Fairen Handel, zu seinen Netzwerken auf europäischer und internationaler Ebene und den wichtigsten Prinzipien des Fairen Handels entlang der 10 Kriterien der WFTO (World Fair Trade Organisation). Danach sind Jawad und Keltouma gefordert. Entlang des EFTA-Fragebogens tauchen wir tiefer ein in die Geschichte Targanines, in die Funktionsweise des Kooperativennetzwerks, in die Herstellung des Produkts. Wir erfahren von der genauen internen wie externen Qualitätskontrolle (Das Öl wird von der marokkanischen Regierung erst dann zum Export freigegeben, wenn einwandfreie Laboranalysen vorliegen) und davon, wie wichtig es für die Frauen ist, den Rohstoff selbst verarbeiten und vermarkten zu können.
Mechanische Ölpressen
Seit Keltoumas Kooperative – sie ist die gewählte Präsidentin von Tamaynoute – dem Netzwerk Targanine beigetreten ist, hat sich einiges verändert. Mittlerweile konnte die Kooperative mit einer mechanischen Presse ausgestattet werden – wie übrigens alle anderen fünf Kooperativen von Targanine. D.h., alle Basiskooperativen sind nun in der Lage, das Öl auch selbst zu pressen. Auch die Abfüllung geschieht vor Ort. Oft hört man übrigens, dass nur handgepresstes Arganöl das wirklich „Wahre“ sei. Ein Irrtum, wie auch Jawad bestätigen konnte. Die mechanische Pressung ist nicht nur eine enorme Arbeitserleichterung für die Frauen (statt 1 Liter in 6 Stunden zu pressen erreicht man 30 Liter in 8 Stunden), sondern erzielt auch ein bekömmlicheres Ergebnis. Jawad: „Bei der händischen Pressung wird heißes Wasser zugesetzt, Wasserbestandteile verbleiben im Öl, dadurch entsteht ein höherer Säuregehalt. Das kann schwer im Magen liegen. Mechanisch gepresstes Öl hat einen deutlich niedrigeren Säuregehalt und ist deshalb leichter und bekömmlicher.“ Keltouma wurde an der Presse ausgebildet. Gemeinsam mit zwei Kolleginnen ist sie heute für diesen Verarbeitungsschritt verantwortlich
Keltouma ist zum Vorbild geworden
Die bessere Ausstattung der Kooperative ist nicht der einzige Pluspunkt. „Mit der Kooperative hat sich auch im Dorf einiges verändert“, übersetzt Jawad. Keltouma, die mittlerweile auch Vizepräsidentin des Frauennetzwerks Targanine ist, ist zum Vorbild geworden. Der Direktor der Dorfschule hat den Kontakt zu ihr gesucht. Sie solle mit den Eltern der Schülerinnen und Schüler sprechen, damit sich diese mehr für die Ausbildung ihrer Kinder interessieren. Keltouma hat sich der Sache angenommen. Seither sind es vor allem die Frauen aus den Familien, die sich nach dem Schulerfolg der Kinder erkundigen. Sie sind es auch, die ihre Kinder (Buben UND Mädchen) in die Schule einschreiben lassen. „Eine Frauenkooperative“, sagt Jawad, „das geht nicht automatisch und sofort in den Kopf der Leute.“ Der Erfolg, den Keltoumas Gruppe hat, hat aber wohl das Denken so mancher im Dorf verändert.
Zusammenarbeit ausbauen
Das Wetter ist Keltouma und Jawad wohlgesonnen. Einen Ausflug ins Salzkammergut können sie noch im Trockenen genießen. Am letzten Tag kommen Regen und Kälte. Doch das schreckt die beiden nicht. Sie freuen sich über die letzten Programmpunkte: ein Interview bei den Salzburger Nachrichten und einen Besuch und herzlichen Empfang im Weltladen Golling, für den Keltouma das traditionelle Gewand der Berberfrauen anzieht.
Intensive Tage gehen zu Ende. Die Erfahrung, einander näher gekommen zu sein, bleibt. „Noch nie hat sich ein Kunde so ausführlich Zeit genommen, uns kennen zu lernen, wie die EZA“, sagt Jawad. Darauf können wir aufbauen.
Als Jawad und Keltouma in Agadir landen, hat ihre Kollegin schon den Artikel aus den Salzburger Nachrichten im Mail und Keltoumas Französisch-Kurs beginnt in den nächsten Tagen….